Die nächsten Tage sind die Härtesten unserer Reise. Für eine Strecke von „nur“ knapp 200 km (welche wir zuhause mit dem Rennrad auch schon mal gerne an einem Tag zurücklegten) brauchen wir 4 Tage. Der Untergrund wechselt von steiniger Piste zur Waschbrettpiste bis hin zu 10 cm tiefen Sand, wo nur noch schieben möglich ist. Bei knapp 45 kg Gewicht ein mühsames Unterfangen und wir können pro Stunde manchmal nur 5 km zurücklegen.
Die Nächte im Zelt sind deutlich unter Null Grad, am nächsten Morgen sind alle Wasserflaschen und -Behälter restlos gefroren. Die Atemluft friert an der Zeltinnenwand und rieselt am Morgen als Schnee auf einen herab.
Zwischen Uyuni und Chita ist die Landschaft fast flach, wenn man sich umdreht kann man den großen Salzsee noch am Horizont erkennen. Kurz bevor es dunkel und kalt wird entschließen wir uns gerade noch rechtzeitig zum Campen in einem ausgetrockneten Flußbett.
Der zweite Tag auf der Piste bringt uns wieder viel Sand. Chita stellt sich als verlassenes Nest heraus, wo es keine Lebensmittel zu kaufen gibt. Gut daß wir zusätzlich zu den Trinkflaschen noch große Wassersäcke dabei haben. Wir kommen nur langsam voran. Nach den letzten Monaten auf dem Rennrad ist dieses Schneckentempo mit manchmal unter 10 km/h eine ziemliche Umgewöhnung. Rio Mulato kann man schon in einer flachen Talsenke erkennen, doch in diesem Gelände und bei der klaren dünnen Luft sind Entfernungen nur schwer einzuschätzen. Leider wird es abends wieder viel zu schnell dunkel und wir müssen mit spärlicher Beleuchtung und eisiger Kälte die letzten 5 Kilometer über die holprige Piste zu den Lichtern des Dorfs finden. Dort werden wir in der einzigen Herberge im Ort, die auch gleichzeitig Restaurant ist, gut aufgenommen und mit einem ordentlichen Essen und warmen Mate-Tee versorgt. Die Gäste schauen uns an, als wenn wir vom Mond kämen.
Tags drauf können wir unsere Vorräte wieder auffüllen und kämpfen uns anschließend durch das härteste Stück des Weges. Die Fahrspur ist mit 10 cm tiefem Sand bedeckt, so daß wir immer wieder längere Passagen schieben müssen. Als wir uns später vom Flußbett lösen wird es steiniger, aber wenigstens kann man hier fahren. Bei Sevaruyo müssen wir einen Fluß durchqueren. Der Ort muß wohl in früheren Zeiten bedeutender gewesen sein, doch jetzt ist es ein verlassenes Nest ohne Übernachtungsmöglichkeiten. Wir entschließen uns ein paar Kilometer aus dem Ort herauszufahren und dann auf einem Feld am Fuß eines Bergs unsere Zelte aufzuschlagen. Schnell essen wir mit der untergehenden Sonne um die Wette.
Für den vierten Tag haben wir uns vorgenommen Challapata und damit die Teerstraße zu erreichen. Wir radeln den ganzen Vormittag einem Gebirgszug entgegen, immer wieder gebremst durch tiefe Sandpassagen und steiniger Piste. Nach fast 20 km erreichen wir ein paar Sanddünen und können unseren Berg, an dem wir morgens gestartet sind, noch gut erkennen.
Wir treffen einen deutschen Touristen, der in einem Jeep unterwegs ist. Er sagt uns, daß gleich die Asphaltstraße beginnt. Was für eine Erlösung, als wir endlich wieder eine feste Teerdecke unter unseren Reifen spüren. Wir lassen es mal richtig rollen und sich vergleichsweise schnell in Challapata. Die Stadt ist schon etwas größer, hat aber auch keinen besonderen Charme. Nach langem Suchen finden wir ein Hospedaje in einem Hinterhof.
Unsere Ankunft in Chile gestaltet sich schwierig. Nach ca. 19 Std. Flug (einschließlich Aufenthalt in Madrid) haben wir den Kaffee auf. Dazu kommt noch die Zeitverschiebung um 6 Stunden. Doch nun heißt es durch den Zoll und dann erneut Einchecken zu einem Inlandsflug, denn wir wollen ja noch gut 1400 km weiter nördlich nach Antofagasta. Um sich gleich mit der südamerikanischen Mentalität vertraut zu machen, wird hier noch mal schnell eine Gebühr für den Radtransport erhoben. Dann heißt es wieder warten, der Flug geht erst in 4 Stunden. Nach weiteren 3 Stunden mit Zwischenlandung in La Serena kommen wir endlich in Antofagasta an. Wir konnten aus der Luft schon einen ersten Eindruck von der angeblich trockensten Wüste der Welt, der Atacama, gewinnen. Leider liegt der Flughafen von Antofagasta noch ca. 25 km entfernt und da wir ja unsere großen Kartons mit den Fahrrädern dabei haben, ist an einen Minibus, oder normales Taxi nicht zu denken. Wie wir da so vor dem Flughafen stehen werden wir gleich von 2 Damen angesprochen, die für uns ein Großraumtaxi besorgen. 50 $ (US-Dollar ist in Südamerika die heimliche Währung) will man uns für die Fahrt in die Stadt abnehmen. Nach ein wenig (zu wenig) Handeln bezahlen wir 40 $ und helfen dem Taxifahrer beim Einladen unserer 30 kg schweren Kartons. Nach einer kurzen Fahrt, links wüstenähnliche Landschaft mit großen Sandhügeln im Hintergrund, rechts die brausenden Wellen des Pazifiks, erreichen wir die ersten Ausläufer der 300.000 Einwohner Stadt.
Der Taxifahrer setzt uns wie gewünscht am Busterminal am Rande der Stadt ab, denn wir wollen ja heute noch nach Calama. Benedikt kauft 2 Bustickets und es scheint alles klar zu sein. Noch mal 2 Stunden Wartezeit und dann fährt der Bus am Terminal vor. Wir schieben unsere riesigen Kartons Richtung Gepäckklappe. Der Busfahrer sieht uns und winkt direkt ab, die Kartons könnte er nicht mitnehmen. Damit ist der Fall für ihn erledigt und er läßt uns draußen stehen, steigt in den Bus schließt die Türen und fährt los nach Calama. Unsere zweite Begegnung mit der südamerikanischen Mentalität. So langsam bricht hier der Abend an, in Deutschland ist bereits tiefste Nacht und wir wollen nur noch schlafen. Also, was haben wir für eine Wahl, wir schieben unsere Kartons an den Rand, packen aus und bauen unten den ungläubigen Blicken der Einheimischen am Terminal routiniert unsere Räder zusammen. Radtaschen werden eingehängt, Lampen angebracht, denn es wird jetzt schnell dunkel. Das ganze Verpackungsmaterial schieben wir in einen Karton, stellt sich nur noch die Entsorgungsfrage. Also fragen wir. Man empfiehlt uns den Karton einfach um die Ecke herum abzustellen. Wir verstehen erst nicht, wir können doch unseren Müll nicht einfach auf der Straße stehen lassen, der Bedienstete des Terminals zuckt mit den Achseln. Das scheint hier niemanden wirklich zu interessieren. Dann fragen wir nach einem bestimmten Hostal und machen uns auf den Weg in die Stadt. Es ist bereits stockdunkel und wir haben nur eine wage Vorstellung, wohin wir fahren müssen. Irgendwann erreichen wir eine Art Stadtzentrum und fragen uns weiter durch. Überall sind Menschen, die wild durcheinander rennen, es ist laut, Autos hupen ständig, man muß aufpassen, daß man nicht angefahren wird. Das anvisierte Hostal können wir nicht finden. Zuguterletzt kommen wir aber doch noch unter. Völlig entnervt ziehen wir nocheinmal los, um einen Geldautomaten zu finden und ein paar Lebensmittel einzukaufen. Dann kommen wir endlich zur Ruhe.
Als ich am nächsten Tag aufbrechen will, gibt es erstmal einen Hagelschauer. Die Leute vom Hostal versichern mir, daß es sowas das letzte Mal vor 5 Jahren gegeben hätte. Trotzdem packe ich meinen Drahtesel und mache mich auf den Weg. Heute wollte ich die Grenze zu Peru überschreiten und morgen Puno erreichen. Der Grenzübergang gestaltet sich schwierig, zunächst muß man sich auf bolivianischer Seite einen Ausreisestempel im Amt für Migration holen um dann auf der anderen Seite in Peru ein Einreiseformular auszufüllen. Stempel in den Pass und es kann weiter gehen. Leider finde ich in der peruanischen Grenzstadt keinen Geldautomaten und so reise ich mit nur den wenigen am Vorabend in Copacabana getauschten „Nuevos Soles“ weiter. Nach einer halben Stunde kommen mir 2 Radler entgegen. Man hält an und tauscht Informationen aus. Die beiden (er Australier, sie aus den Niederlanden) kommen aus Alaska und wollen noch runter nach Feuerland, dazu sind sie schon 2 Jahre unterwegs. Ich schäme mich ein wenig, daß ich zu Hause wegen meiner 5 Wochen am ganz großen Rad gedreht habe. Die beiden sehen es locker und schenken mir noch ein wenig peruanisches Geld, welches sie nicht mehr benötigen. Wir teilen meine Kekse und sitzen noch eine halbe Stunde zusammen und quatschen. Gut das ich die paar Soles noch bekommen habe, denn bis Puno gab es leider keinen Geldautomaten, zur Not hätte ich aber meine Dollar tauschen können.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt verschlechtert sich das Wetter und zu dem schon stark blasenden Gegenwind gesellt sich eine Sturmfront, die sich schnell über den See nähert. Anfangs denke ich noch ich könnte mit Schieben weiterkommen, doch dann reißt der Orkan mir fast das Rad aus den Händen. Schnell flüchte ich mich unter einen Felsvorsprung und warte das Ende der Front ab. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei und ich kann weiterfahren. Hmm, die Wetterstatistik sagte für Juli genau einen Regentag voraus, den habe ich dann heute wohl erwischt. Kurz vor dem Ort Juli (welch Ironie, der Ort heißt wirklich so!) gibt es noch mal einen richtigen Schlussanstieg auf über 4000 m.ü.M. und ich muß die letzten Körner verbraten.
Auf Empfehlung der beiden Radler, suche ich ein bestimmtes Hospedaje. Eine alte huzelige Peruanerin macht mir das Tor auf. Alter ist nicht zu schätzen, wahrscheinlich sehen die Menschen aufgrund der Witterungsbedingungen und der stärkeren Sonneneinstrahlung hier älter aus als sie sind. Nach einem "Gespräch" mit Händen und Füßen (mein Spanisch ist einfach schlecht) bekomme ich ein schönes Zimmer, welches in Deutschland sofort von den entsprechenden Behörden geschlossen worden wäre, aber nach den letzten Wochen bin ich ja einiges gewohnt und freue mich über die Windstille und die lauwarme Dusche. Die gute alte Senora läßt mich sogar in ihrer Küche von mir mitgebrachte Pasta kochen. Dazu gibts dann einen ordentlichen Mate de Coca (Tee), einfach Klasse, da fühlt man sich gleich besser. So gestärkt verbringe ich den Rest des Tages (es ist erst 19:00, aber schon stockdunkel und sehr sehr kalt) und die Nacht in meinem warmen Schlafsack.
Am nächsten Morgen bemerke ich, daß die Sonne schon aufgegangen ist, mein Wecker aber erst in einer Stunde schellen sollte. Ah ja, Peru hat dann wohl eine andere Zeitzone. Es ist Sonntag, alle Geschäfte haben auf, LKWs auf den Straßen, eigentlich alles wie immer, nur einige Leute sind schicker gekleidet als sonst. Juli hat natürlich keinen Geldautomaten und nach der Übernachtung (20 Sol = 5 EUR) bleiben mir nur noch Dollares und ein paar Sol Kleingeld.
Genial, es ist fast windstill, ich rolle mit fast 20 km/h die Straße entlang. Doch die Freude hält nicht lange an, irgendwann am Vormittag ist er wieder da, mein größter Feind. Sofort reduziert sich meine Geschwindigkeit wieder auf ein Maß, daß es mir schwerfällt den Lenker gerade zu halten. Im nächsten größeren Ort gibt es dann endlich eine offene Bank. Riesige Schlangen überall (es ist Sonntag!), man verweist mich auf den Geldautomaten, der will aber keine Mastercard. Also schwinge ich mich wieder vor den Augen der staunenden Peruanern auf meinen Drahtresel und weiter geht's. Unterwegs wieder das gleiche Spiel, wie seit 3 Wochen: Kleine Jungen rufen mir immer wieder von den Feldern "Hola Gringo, hola Gringo" zu. Ich versuche zwar des öfteren richtig zu stellen "No soy Gringo, soy Aleman", aber das scheinen sie nicht zu verstehen. Jedes vorbeifahrende Auto hupt einen an, unabhängig, ob die Straße frei ist oder nicht. Da wünsche ich mir schon mal eine Presslufthupe, wie sie bei den Fußballfans beliebt ist.
Die heutige Tour war alles andere als vergnüglich, ich habe den ganzen Tag für die 80 km bis Puno gebraucht, mit einem Schnitt von 12-13 km/h (netto). Aber zu guterletzt habe ich Puno erreicht, eine etwas größere Stadt, die auch touristisch erschlossen ist. Nach einem Besuch der Tourist-Information (zum ersten Mal sehe ich sowas hier!) empfiehlt man mir das schöne Biker-freundliche Hotel Velana, in dem ich sehr nett empfangen werde. Es gibt einen abgeschlossenen Raum für mein Rad und das Zimmer hat ein Bad mit einer wirklich heißen Dusche ohne Gefahr gegrillt zu werden. Anschließend finde ich sogar einen funktionierenden Bankautomat und bin jetzt erstmal wieder flüssig. In einem netten Restaurant bestelle ich mir ein leckeres Alpakasteak in Wermutsauce, exzellent!
Wir fahren mit bestimmt 20 Booten durch ein Schilfgebiet und passieren eine Art Kontrolleingang zu den „schwimmenden Inseln". Es öffnet sich ein großer freier Bereich, an dessen Rändern sich die Inseln befinden. Jedes Boot steuert eine eigene kleine Insel an. Kaum gelandet, kommen die "Einwohner", in traditioneller Tracht gekleidet, aus ihren Hütten und breiten selbsthergestelltes Kunsthandwerk, Decken etc. aus, welche sie zum Kauf anbieten. Unser Guide und der Vorsteher der Insel erklären uns an einem Model die Funktionsweise der schwimmfähigen torf-ähnlichen Gebilde sowie der einzelnen Schilfschichten. Es wirkt alles sehr auf Touristen zugeschnitten, ob die Einwohner der Inseln nun wirklich in den Schilfhütten übernachten, bleibt dahingestellt. Auf einem kleinen Stück (festen) Land sehe ich Holzhäuser mit richtigen Dächern. Ein katamaran-ähnliches Schilfboot á la "Kontiki" von Thor Heyerdal wird für uns (10 Soles) auf die andere Seite gerudert. Dort empfängt uns ein Chor von einheimischen Frauen mit einem Liedchen, dessen Melodie sich zum verwechseln nach "Alle Vöglein sind schon da" anhört. Ich muß schmunzeln.
Nach Beginn der asphaltierten Straße kommen wir dann wieder schneller voran und können nach 115 km Oruro erreichen. Diese Stadt hat aus touristischer Sicht nicht viel zu bieten, mehr aus Soziologischer. Es ist sehr dreckig und die Menschen sind arm, überall laufen scheue streunende Hunde herum und wühlen im Dreck nach eßbarem. Bei dem Besuch eines Marktplatzes am Abend fühlen wir uns nicht ganz wohl in unserer Haut. Erst am nächsten Morgen finden wir einen schönen zentralen Platz mit Kirche und Amtsgebäuden wo wir auch nett frühstücken können.
Den nächsten Teilabschnitt bis La Paz legen wir wegen des dichten Verkehrs mit dem Bus zurück. Dies ist auch nicht viel sicherer, denn wir können beobachten wie dem Busfahrer vor Übermüdung immer wieder die Augen zufallen und fürchten um unser Leben.
Leider wird in Südamerika auf den Straßen sehr rücksichtslos gefahren, es gilt das Recht des Stärkeren. Busse bremsen grundsätzlich für niemanden. Das heißt für uns „schwache“ Radfahrer, daß wir des öfteren einen Sprung ins seitliche Kiesbett machen müssen, um nicht überfahren zu werden. Es spiegelt ein wenig die Mentalität hier in Bolivien und Peru wieder, welche die Rücksichtsnahme, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft nicht in dem Maße kennt wie wir dies von Europa gewöhnt sind. Jeder kämpft hier für sich alleine. So waren zumindest unsere Erfahrungen. Wir lernten aber auch viele hilfsbereite Menschen kennen.
La Paz ist eine pulsierende Metropole mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung. Die Stadt liegt in einem Talkessel, welcher an den Rändern auf 4100 m.ü.M ansteigt (El Alto) wo zumeist die arme Bevölkerung lebt. In den tieferen Regionen 3200 m.ü.M. stehen schmucke Hochhäuser und man könnte meinen sich in einer europäischen Großstadt zu befinden. Wir bleiben hier noch einige Tage, um Vorräte aufzufüllen, Wäsche zu waschen und wichtige Erledigungen zu tätigen. Leider kann Benedikt die Reise nicht weiter fortsetzen und tritt von La Paz aus den Heimweg an.
Straße des Todes
Vorher können wir jedoch noch an einer kleinen Radtour besonderen Ausmaßes teilnehmen: wir haben bei einem der vielen Reiseveranstalter eine MTB-Tour über den „Camino de la muerte“ gebucht, wie der Name schon sagt, ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen. Es handelt sich dabei um eine Schotterpiste, die noch bis vor kurzer Zeit die einzige Verbindung von La Paz in die östlich gelegenen Regenwaldgebiete (Yungas), also den Beginn des Amazonas-Regenwaldes, darstellte. Mittlerweile hat man parallel eine Asphaltstraße gebaut.
Früh morgens bringt uns ein Bus aus der Stadt hinaus bis zur Passhöhe „La Cumbre“ mit ca. 4700 m.ü.M.. Dort werden die MTBs, ich habe mir einen Fully (vollgefedertes Rad) ausgesucht, abgeladen und wir folgen unserem Guide ersteinmal 20 km asphaltierte Straße mit rasender Geschwindigkeit hinunter, während der Minibus immer hinter uns herfährt. Danach biegen wir auf die eigentliche Schotterpiste ab. Jetzt wird es ernst. Der Guide weist uns nochmals auf die Gefahren hin (keine Straßenbegrenzung, Linksverkehr, heraufkommende Fahrzeuge haben Vorfahrt) und mit einem mulmigen Gefühl geht es dann los, rechts die Felswand, links an der Abbruchkante bis zu 500 m tiefe Schluchten. Doch schon bald hat man sich daran gewöhnt, und es geht in rasender Fahrt die kurvenreiche Piste hinunter. Dann sind wir ganz von großen Bäumen, Farnen, Vogelgezwitscher und dem Geruch tropischer Gewächse umgeben. Nach stundenlanger adrenalinsteigender Bergabfahrt (ca. 40 km), mit einigen Foto-Pausen an besonders steilen Abhängen, erreichen wir in Yolosa die tiefste Stelle (ca. 1200 m.ü.M.).
Nun bringt uns der Bus nach Coroíco, einem sympatischen Dorf, in dem wir in einem Hotel ein Mittags-Buffet einnehmen und anschließend den hauseigenen Pool benutzen können. Eine super Entspannung nach den vielen aufregenden Radkilometern. In stundenlanger Fahrt bringt uns dann der Minibus zurück nach La Paz. Abends treffen wir durch Zufall unsere 3 Spanierinnen wieder, wir gehen zusammen Essen und quatschen den ganzen Abend über unsere Erlebnisse.Nach Einfahrt in den Nationalpark „Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Abaroa“ kommen wir an der am Fuße des 5920 m hohen Vulkans Licancabur gelegenen Laguna Verde und Laguna Blanca vorbei. Der inaktive Vulkan mit dem höchstgelegenen Kratersee der Welt war auch schon von San Pedro aus zu sehen und überragte die Atacama-Wüste. An einer heißen Quelle können wir dann ein Bad nehmen, bei dem frischen Wind und den kühlen Temperaturen in über 4000 m Höhe eine echte Herausforderung.
Die außergewöhnlichen Farben der verschiedenen Lagunen beruhen teilweise auf bestimmten Algenarten sowie dem hohen Mineralstoffgehalt. Die sehr widerstandsfähigen Flamingos kann man an einigen Stellen in der Salzlacke stehen sehen. Aufgrund ihrer lederartigen Haut macht ihnen das Salzwasser nichts aus.
Nach dem Besuch des Geysirfeldes (Sol de Mañana) auf fast 5000 m.ü.M. stellen sich bei mir plötzlich starke Kopfschmerzen und Übelkeit ein. Auch die anderen Teilnehmer unserer Gruppe haben Probleme, die ersten Anzeichen einer leichten Höhenkrankheit. Wir fahren weiter zur Laguna Colorada auf 4278 m.ü.M. wo auch unsere Unterkunft für die Nacht gelegen ist. Es handelt sich um Steinsockel, auf die Matrazen gelegt wurden. Abends wird von den hier lebenden Bolivianern indianischen Ursprungs ein Essen serviert. Mir geht es schlecht und ich bekomme nichts runter. Ich gehe früh zu Bett und bekomme Schüttelfrost. Zwei Deutsche aus dem anderen Jeep mit Himalaya-Erfahrung beruhigen mich und sagen ich müßte die Nacht irgendwie überstehen, morgen würde es schon besser gehen. Die Einheimischen bringen mir einen „Mate de Coca“ (Tee aus Cocablättern, welcher in Deutschland verboten, hier aber in Teebeuteln in jedem Supermarkt zu kaufen ist) gegen die Höhenkrankheit. Nach kurzer Zeit beginnt der Tee zur wirken und ich fühle mich schon etwas besser. In den darauffolgenden Tagen verschwinden die Symptome durch Absteigen auf 3600 m.ü.M. und Eingewöhnung wieder.
Am zweiten Tag erreichen wir nach dem Besuch verschiedener Lagunen, welche teilweise von Flamingos bevölkert werden und einer Vorbeifahrt am noch aktiven Vulkan Ollagüe die Ausläufer des Salar de Uyuni, mit mehr als 10.000 km² der größte Salzsee der Welt. Die Nacht verbringen wir in einer Unterkunft direkt am Salzsee, die Sockel der Betten sind aus purem Salz. Ich gehe noch nach draußen und sehe mir den faszinierenden Sternhimmel an. Nirgendwo hat man so einen klaren Blick in den Weltraum, wie in dieser Höhe und bei dieser niedrigen Luftfeuchtigkeit. Erinnerungen an meine Ausbildung als Astrophysiker werden wach.
Der nächste Tag steht dann ganz im Zeichen des Salzsees, wir besuchen noch die in der Mitte des Sees gelegene Insel „Incahuasi“ und fahren über die bis zu 30 m dicke Salzschicht nach Uyuni.
Wir bewegten uns in einer Region der Welt in der es noch viel Armut, unterentwickelte Verkehrswege und knappe Ressourcen gibt. Die für unser Unternehmen so wichtige Versorgungslage mit ausreichend Lebensmitteln, Wasser und Unterkünften war aber jederzeit gegeben. Man kann jedoch europäische Maßstäbe hier nicht anlegen. Viele Unterkünfte waren Schlafplätze mit dem Klo im Hinterhof, das Essen war nahrhaft aber einfach.
Heizungen kennt man hier nicht, die Wasserleitungen waren morgens gefroren und tauten erst nach ein paar Stunden wieder auf, was die im Hinterhof lebenden Familienmitglieder nicht von einem Toilettenbesuch abhielt. Für eine warme Dusche war meist der in Südamerika übliche Duschkopf mit Durchlauferhitzer installiert, eine windige Konstruktion mit zusammengedrehten Kabeln mit Isolierband drumherum. Bei jedem Duschen hatte ich ein mulmiges Gefühl, ob ich bei einer Fehlfunktion nicht doch gebraten würde.
Unser Ziel war es den Altiplano, eine Hochebene zwischen 3600 und 4000 m.ü.M., mit dem Rad von Süd nach Norden zu durchqueren um danach noch ein Stück weiter durch das Urubamba-Tal bis nach Machu Picchu zu gelangen. Dabei würden wir zunächst Bolivien und danach Peru bereisen. Die Schwierigkeiten waren nicht-asphaltierte Straßen, also Sand-, Stein- oder Waschbrettpisten, die große Höhe und der ständig von Norden wehende Gegenwind.
Dazu kam der für diese Jahreszeit außergewöhnlich strenge Winter mit -24° C in einigen Regionen. Aufgrund dieses strengen Nachtfrostes war es uns nicht möglich die Lagunen-Tour (eine ca. 500 km lange Tour im äußersten Südwesten Boliviens entlang von natürlichen teilweise versalzten, lagunenartigen Seen und Geysirfeldern in einer Höhe zwischen 4000 - 5000 m.ü.M.) mit dem Fahrrad zu absolvieren, da es nicht für jede Nacht eine gesicherte Unterkunft gab und für eine Übernachtung im Zelt in dieser Höhe derzeit zu kalt war. Wir entschlossen uns daher eine 3-tägige Jeep-Tour zu buchen. Damit konnten wir die schönen Lagunen trotzdem besuchen und unsere Räder wurden sicher mitgeführt.
Wir fahren wieder zum Busterminal und gehen diesmal zu einem anderen Unternehmen. Sie würden uns ja mitnehmen, aber die Räder müßten in einem Karton verpackt sein. Wir raufen uns die Haare. Aber wir haben ja noch die riesigen „trans-o-flex" Tüten, in die wir unsere Radtaschen verpackt hatten. Wir zeigen den Leuten am Schalter die Tüten und bieten an, daß wir unsere Räder darin verpacken würden. Das funktioniert tatsächlich, unsere Räder werden in den Bus geladen und wir machen uns auf die 300 km lange Fahrt nach San Pedro de Atacama. Beim Ausfahren aus dem Busterminal können wir noch unseren Karton an der Ecke stehen sehen, irgendwie ironisch.
Bei unserer Ankunft in San Pedro (2443 m.ü.M.), einem kleinen touristisch geprägten Örtchen mit ca. 5000 Einwohnern am Rand des Salar de Atacama gelegen, bricht schon der Abend an. Beim Auspacken der Räder verliere ich im Dunkeln wohl meine Fotokamera, bemerke dies aber erst 2 Stunden später und trotz intensiver Suche und Nachfrage bleibt sie verloren. Ich ärgere mich Tage lang. Gut das Benedikt auch eine Kamera dabei hat.
Der Ort ist übersät mit Hospedajes, Restaurantes und Touristen. Wir finden eine schöne, bezahlbare Unterkunft mit Küche und Bad auf dem Gang. Die nächsten 2 Tage machen wir Rad-Ausflüge in die nähere Umgebung (Valle de Luna, Salar de Atacama, Pukará), gewöhnen uns an die Höhe und sammeln Informationen, z.B. über die Lagunentour. Nachts ist es empfindlich kalt, selbst in den Unterkünften. Aufgrund der weiter oben beschriebenen Wetterlage buchen wir die 3-Tage Jeep-Tour nach Uyuni.
Am nächsten Tag begann nun der zweite Teil meiner Reise, diesmal als Solofahrer. Nach der 2-wöchigen Eingewöhnungsphase stellte dies aber kein Problem mehr dar. Ich breche also morgens mit dem Ziel Titicacasee auf. Dazu mußte ersteinmal der Talkessel von La Paz verlassen werden, eine gut 15 km lange Straße auf der rund 900 Höhenmeter zu überwinden sind. Belohnt wird man aber mit einem schönen Blick über die Stadt und auf den 6439 m hohen Berggipfel des Illimani. Kaum lasse ich die letzten Häuser von „El Alto“ hinter mir, wird der Gegenwind spürbar. Dieser frischt im Laufe des Tages, meist nach Mittag, ziemlich auf und bereitet mir auf der ansonsten zumeist flachen Strecke große Probleme. Ich komme teilweise nicht mehr über 10 km/h hinaus.
Kurz vor Sonnenuntergang erreiche ich den Titicacasee (3810 m.ü.M.) und kehre in einem kleinen Hotel direkt am See ein. Es scheint sich auch um eine Art Bauernhof zu handeln, überall springen Schafe, Hühner und Schweine über den Hof. Ich bin der einzige Gast und werde von der netten Dame mit allem notwendigen versorgt. Ihr kleiner 6-jähriger Junge schaut fasziniert auf mein Rad.
Am nächsten Tag ist mein Ziel Copacabana, dazu sind aber noch eine kurze Fährstrecke und zwei 4000er Pässe zu überwinden. Die See-Enge bei Tiquina wird auf kleinen abenteuerlichen anmutenden Holzbooten überwunden, deren Boden aus einfachen Holzplanken besteht. Trotzdem bringen die sehr jungen Fährmänner sogar ganze Reisebusse und LKWs sicher auf die andere Seite. Die zwei Pässe und der starke Gegenwind zwingen mich des öfteren neben mein Rad zum Schieben. Gegen Abend erreiche ich dann endlich Copacabana.
Das Städtchen ist ein wichtiger Wallfahrtsort Boliviens, in dessen Basilika die „Virgen Morena“, eine um 1576 von einem Indio aus dunklem Holz geschnitzte Marienfigur mit einer Krone aus purem Gold, steht. Sie wird als Schutzheilige des Titicacasees verehrt. Ich finde ein günstiges Hostal und buche für den nächsten Tag eine Bootsfahrt zur „Isla del Sol“.
Doch am Tag darauf frischt der Wind dermaßen stark auf, daß die Boote nicht auslaufen können, stattdessen wandere ich über einen Kreuzweg auf den „Cerro Calvario“, der 3966 m hohe Hausberg von Copacabana. Dort hat man eine schöne Übersicht über die Stadt und den Titicacasee.